Pariser Verkehr hat Vorbildfunktion


Hier der Bericht von Susanne aus Paris, wo sie den dortigen Autoverkehr praktisch erleben konnte:

Das Zusammenspiel des Verkehrs in Paris folgt einigen einfachen Regeln, die von allen Verkehrsteilnehmern befolgt werden.

  • ungefähr alle 20 bis 50 Meter gibt es Zebrastreifen – über noch so kleine Sträßchen. An allen Seiten von Kreuzungen sind Zebrastreifen, zu 80 % mit Fußgängerampeln versehen
  • an einer grünen Fußgängerampel halten die Autos bei Rot an, die Fußgänger gehen über die Straße
  • an einer roten Fußgängerampel bleiben die Fußgänger stehen und warten bis die Autos durchgefahren sind
  • und wenn keine Autos mehr kommen, gehen die Fußgänger bei Rot über die Fußgängerampel, dann greift die Regelung des Zebrastreifens auf der Fahrbahn
  • wenn an einer roten Fußgängerampel eine kritische Masse an Fußgängern erreicht ist (das kann schon bei 2- 4 Personen sein), wird einfach im Pulk losgelaufen, auch wenn der Autoverkehr dicht fließt und grün hat. Die Autos halten dann trotzdem an – es ist also IMMER Vorfahrt für Fußgänger
Paris_praktiziertes_Shared_Space

Bild: privat

Bild: privat

Bild: privat

Das beste dabei ist: kein Autofahrer regt sich auf, er hält einfach und fährt entsprechend vorsichtig.

Für Fahrradfahrer gilt: sie fahren überall, auch im fünfspurigen Kreisverkehr habe ich an der Ampel vorne Radfahrer stehen sehn, die kommen da lebend durch – einfach, weil die Autofahrer entsprechend fahren. Die Stadt Paris bietet einen vorbildlichen Fahrradverleih-Service an, den vélib (vélos-en-libre-service), der rege in Anspruch genommen wir.

Paris_Radfahrer_im_Kreisel

Bild: privat

Alles in allem ist eines klar: bei uns wird sich nur dann was änderen, wenn (Anm: alle Verkehrsteilnehmer, aber insbesondere) die Autofahrer begreifen, dass sie nur ein Teil des Gesamtverkehrs in einer Stadt sind und nicht die Herren des Ganzen, denen sich alle unterzuordenen haben. Und da – fürchte ich – liegt noch ein weiter Weg vor uns. In Paris wird quasi Shared-Space ohne Shared Space praktiziert. Außerdem fällt auf, dass niemand auf den Gehwegen parkt!

Wenn ich daran denke, wie unmöglich es ist, in Stuttgart einen Zebrastreifen vor einen Kindergarten (*) zu bekommen, überkommt mich, milde gesagt, ein gewisser Überdruss an dieser unserer Stadt…. vor einem Gymnasium in Paris waren ungelogen alle 10 Meter Zebrasteifen und Langsamfahrelemente – in einer ganz ruhigen, schmalen Gasse…

Paris_Straße_hinterm_Gymnasium

Bild: Privat
Im Vordergrund erhöhter Fahrbahnbelag, im Hintergrund 2 Zebrastreifen nach einander, rechts am Rand das Symbol für einen Radweg.

Anmerkung/ Hinweis eines Pariser Bürgers auf diese Beobachtungen:

Haben Sie den Place de la République gesehen? In diesem Frühjahr müsste die Umgestaltung abgeschlossen sein: Innerhalb kürzester Zeit (zwischen Vorstellung der Planungen und deren Umsetzung) wurde die vom Autoverkehr dominierte Kreuzung zum großen Teil in eine Platzfläche für Fußgänger umgewandelt. Parallel läuft auch die Sperrung der Schnellstraßen, die weite Teile des Seine-Ufers entwerten, und die Umwandlung in Flanierzonen.

Offensichtlich macht die Stadt Paris genau das Gegenteil von dem, was Stuttgart treibt: wir bauen Autobahnen in die Stadt rein, Paris baut seine Straßen zurück. Siehe zum Beispiel hier die Umgestaltung des Seine-Ufers. Da kann Herr Kuhn sich ein Beispiel nehmen für die Umgestaltung der B10/ Neckarufer.

Urlauber aus anderen Städten, zum Beispiel Barcelona, haben mir inzwischen berichtet, dass es dort ähnlich ist. Man müsste unsere Gemeinderäte regelmäßig dazu anhalten, sich in Stuttgart zu Fuß und per Rad zu bewegen und im Anschluss in den Metropolen Europas (auf eigene Kosten, bitte schön) – dann wären sie vielleicht nicht mehr so hoffnungslos rückständig in Sachen Verkehr. Reisen bildet ja bekanntlich.

Anm. der BI Neckartor: Die laissez-fair Politik der letzten Jahre (Jahrzehnte) gegenüber dem motorisierten Verkehr hat dazu geführt, dass sich einige Missstände und Marotten ausgebreitet haben. Dazu gehört unter anderem,

  • dass Autofahrer ohne Schulterblick und ohne auf Fussgänger zu warten von einer Hauptstraße nach rechts abbiegen,
  • dass Autos dort abgestellt werden, wo gerade Platz ist („Ich bin nur mal kurz…“),
  • dass keine Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer genommen wird,
  • dass Radfahrer sofort überholt werden müssen, egal ob es passt oder nicht (hinter einem „langsamen“ Radfahrer zu fahren ist wohl eine Schmach),
  • dass die Toleranz der Geschwindigkeitsangaben konsequent ausgenutzt werden („wenn da 50 km/h steht kann ich 60 fahren“) und erst an den bekannten Stellen der Messgeräte der Stadt gebremst wird („in 30 km/h-Zonen wird ja sowieso nur selten gemessen“),

Das soll natürlich nicht heißen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer alle Unschuldslämmer wären. Für Radfahrer gilt zum Beispiel, dass vorhandene Radwege benutzt werden müssen. Wenn diese allerdings als Parkplatz dienen oder bereits nach einigen Metern wieder aufhören, muss man sich nicht wundern, dass Radfahrer auf der Straße fahren.

(*)Kindergarten in der Friedenskirche. Begründung der Stadt: Die Straßen dort sind Wohnstraßen und liegen in einer 30-km/h-Zone. Deshalb würden die Autos dort bereits langsam fahren. Dass das nicht stimmt (siehe oben) will niemand hören. Das wären nur Einzelfälle.

Werbung

4 Antworten zu “Pariser Verkehr hat Vorbildfunktion

  1. Planet Demograzie

    In KirchheimTeck brüstet man sich mit lauter Schildern mit Auszeichnungen an Hauswänden und am Rathaus, welch tolle Radwegestadt hier doch wäre.
    Dass aber die Radfahrer eigentlich gar nicht so sehr wichtig sind, sieht man an den ständigen Unzulänglichkeiten, die man als Radler ständig wahrnimmt. (Außer der Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker und dem Bürgemeister, die fahren nie mit dem Rad durch ihre eigene Stadt).
    Radfahrspuren werden fast nur von Autos benutzt, Radler können so nicht mal rechts an stehenden oder langsamen Autos vorbeifahren!
    Radwege werden meist einfach zugeparkt, trotz Parkverbotszeichen!
    Radwege sind seit Jahren völlig marode und von Baumwurzeln zerfurcht und gespalten, trotz mehrmaliger Beschwerden und Anzeigen bleibt es so!
    Schlaglöcher und zu tiefe Gas- und Gullideckel werden erst nach 20 Jahren ausgebessert!
    Ortskernverschönerungen und -Umgestaltungen un Rathausneubau im Kaff Jesingen sind dem prestigegeilen Gemeinderat und den Stadtoberen wichtiger, als angenehme Rad- und Fußwege!
    Um Falschparker, Falschabbieger, Falschfahrer gg Einbahnstr. wird sich völlig unzureichend gekümmert. Jeder kann Nachmittags, Abends und Nachts parken und machen wie er will, keiner wird mal verwarnt!
    Polizei fährt ständig nur spazieren und schaut mehr weg als hin!
    Da werden große gefährliche Gegenstände wie neulich erst ein Blumenkübel, einfach ignoriert statt weggeräumt, obwohl man direkt daran vorbeifährt! Oder es wird der Gegenstand einfach „umschifft“! Daß Streifenwagen auch nie Falschparker wahrnehmen und sogar direkt daran einfach vorbeifahren, obwohl die Beamten ganz genau wissen, daß der Vollzugsdienst längst Feierabend hat, ist selbstredend…
    Aber gehst du einmal im Jahr um 0:00 Uhr zu Fuß zum BurgerKing, wirst du gleich von der Streife verfolgt und angehalten und kontrolliert!

  2. Was die Verkehrsüberwachung durch die Polizei angeht, stimme ich zu. Die sind (oder fühlen sich) hier ebenso wenig zuständig wie bei dir. Nur wenn eine Gefährdung vorliegt, greifen sie ein. Ich kenne aus anderen Städten, dass (auch nachts) massiv abgeschleppt wird, vorallem im Diskoviertel. Hier: Fehlanzeige!
    Und anstatt Radwege zu bauen schmückt man sich auch lieber mit einem Protzbahnhof.

  3. Ergänzung von Susanne zu den Öffentlichen Verkehrsmitteln in Paris:
    Ein Metro-Ticket, das auch im Bus gilt, und mit dem man den kompletten Innenstadtbereich (Zonen 1 und 2) befahren kann, mit dem am auf dem Weg zu seinem Ziel beliebig oft und ohne Zeitbeschränkung umsteigen kann (nur zurück an den Start darf man damit nicht), kostet 1,80 Euro! Eine Tageskarte für den gesamten Innenstadtbereich kostet 6,60 Euro. Unötig zu sagen, dass man in Suttgart mit 1,80 Euro nicht weiter als drei Stationen kommt da das billigste 1-Zonen-Ticket in Suttgart nach der Kurzstrecke (1,20 Euro) bei 2,30 Euro liegt. Auch unnötig zu sagen, dass in Paris der Innenstadtbereich ca. so groß ist, wie in Stuttgart das gesamte Netz?

  4. Pingback: Wer denkt an die Fußgänger? | Neckartor Bürgerinitiative

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s