Eine Stadt ist eine Sozialgemeinschaft, unterschiedlichste Menschen leben und bewegen sich in der Stadt, in dieser Gemeinschaft. Einigen Leuten kann man aus dem Weg gehen, andere muss man ertragen, wieder andere lernt man niemals kennen und mit einigen hat man mehr oder weniger gute und intensive Kontakte. Dieses Zusammenleben erfordert einiges an Kompromissen und auch Arbeit. Zum Beispiel möchte man in der Regel in sauberes Umfeld haben, also pflegt man selbst die Umwelt und wirft den Müll in die bereitgestellten Mülleimer.
Seit einiger Zeit bieten viele Städte sogenannte Bürgertelefone oder Beschwerdestellen an, denen man Missstände melden kann. In Stuttgart nennt sich diese Stelle das Gelbe-Karten-Team. Der Bürger kann sich dort melden, seit neuestem auch über eine sogenannte App auf dem Smartphone, und vom wild abgelagerten Müll über Wegschäden bis hin zu verstopften Kanaldeckeln, abgeknickten Verkehrszeichen und defekten Brunnen jeglichen Schaden in der Stadt angeben.
Die Stadt garantiert eine schnelle und effektive Bearbeitung, der Bürger könne so auf mögliche Schwachstellen aufmerksam machen und so einen wichtigen Beitrag zu Verbesserungen leisten. Damit trägt der Bürger also zu einer guten und sauberen Umwelt bei und fördert das gemeinsame Zusammenleben in der Stadt.
Wenn man dann eine solche gelbe Karte schreibt, bekommt man nach einigen Tagen eine Antwort mit einer Danksagung des Oberbürgermeisters und einer Meldung über die Erledigung des Hinweises. Die Stadtverwaltung kann mit dieser Bürgerarbeit schnell auf gefährliche Stellen reagieren, wenn beispielsweise Scherben oder wilder Müll auf einem Weg herumliegen. Denn natürlich kann die Müllabfuhr nicht jeden Müll sofort entfernen und auch die Straßenreinigung kann nicht an jeder Ecke stehen um zerplatzte Flaschen umgehend aufzukehren. Aber auf der anderen Seite kann die Stadtverwaltung mit diesen „verlängerten Augen“ der Bürger eine Menge an Personal einsparen, da das vorhandene Personal gezielter eingesetzt werden kann.
Aber ist es Aufgabe des Bürgers die Straße vor seinem Haus auf Müll, auf abgeknickte Verkehrsschilder, auf Gehwegparker oder Schäden an den Gehwegplatten zu überwachen? Schließlich hat er, je nach Größe des Grundstücks, Grundsteuer bezahlt und diverse andere Abgaben mit denen die Stadt auch die Infrastruktur, eben die Straße, unterhält, unterhalten muss. Ist die Verkehrsüberwachung (Stichwort Meldung Falschparker) oder die Meldung von Straßen- und Gehwegschäden überhaupt Aufgabe des Bürgers bzw. kann sie das überhaupt sein? Falschparker zu melden ist schon nicht mehr ganz so einfach, da man die feinen Unterschiede zwischen Halteverbot, absolutem Halteverbot und den zeitlichen Einschränkungen, halbes Gehwegparken und dergleichen richtig einschätzen und beurteilen können muss. Außerdem könnte ein besonders fleißiger Melder einer Stadtverwaltung ordentlich Arbeit verschaffen, die aber aufgrund der klammen Kassen der Kommunen aber gar nicht abgearbeitet werden kann, weil das Personal fehlt.
Die Einnahmen werden zentralisiert, die Aufgaben sozialisiert.
Einige von Ihnen werden sich vielleicht noch an die Aktion Let’s Putz von Ex-OB Schuster erinnern. Diese Aktion, die vom Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart immer noch beworben wird, sollte Bürger animieren, in ihrer Umgebung Müll zu sammeln. Ob diese Aktion auch 2015 wieder durchgeführt wird, ist auf der Seite nicht ersichtlich.
Derzeit ist der Stuttgarter Bürger zu einer weiteren besonderen Art an Bürgerarbeit aufgerufen. Der Verschönerungsverein ruft zum Wettbewerb Stadtverschönerung Stuttgart auf. Dabei soll der Bürger Grünflächen gestalten, Patenschaften für Bäume und Grünflächen übernehmen und das Hausumfeld begrünen.
Urban Gardening ist die neudeutsche Bezeichnung für Gartenbau in der Stadt. Guerilla Gardening ist die subversive Form des Urban Gardenings und bezeichnet Gartenbau auf Brachflächen, an kahlen Straßenrändern und in von Hundekot belasteten Baumscheiben. Beim Guerilla Gardening tritt der Gärtner selbst in den Hintergrund und meist werden die Brachflächen in subversiven Aktionen gegen den Willen der Grundstücksbesitzer mit Samenbomben begrünt oder sogar mehr oder weniger dauerhaft besetzt. Urban Gardening ist dagegen die zivile, die legalisierte, geduldete, ja sogar gewünschte Form des Bürger-lichen öffentlichen Gartenbaus. Denn auch hier lässt sich einiges an Geld einsparen, wenn die Bürger die Baumscheiben vor ihrem Haus selbst gestalten und die Stadt die Pflege so einsparen kann.
Aber auch hier ist die Frage berechtigt, ob das Aufgabe des Bürgers ist. Sollten Bürger, die sich derart engagieren, nicht weniger Grundsteuer zahlen? Oder sollten die Bürger, die sich nicht engagieren mit einem Teil der Grundsteuer nicht besser die Ausgaben der engagierten Bürger für Blumen und Erde ausgleichen? Wie weit darf Bürgerarbeit überhaupt gehen? Haben Bürger, die eine Patenschaft für einen Straßenbaum oder eine Grünfläche übernommen haben, ein besonderes Mitspracherecht, wenn es um Bauprojekte an der betreuten Stelle geht? Oder nimmt man nur die geleistete Arbeit gerne entgegen, bei den restlichen Entscheidungen spricht man dem Bürger aber die Kompetenz ab?