Angesichts des ersten Feinstaubalarms im Herbst/ Winter 2016 überschlagen sich derzeit die Meldungen und Pressemitteilungen.
Den Anfang machte der Haus- und Grundbesitzerverein Stuttgart mit einer eigentlich relativ alten Meldung, die in der StZ und beim SWR bereits im März diesen Jahres und dann im hauseigenen Mitgliedermagazin im Mai noch einmal veröffentlicht wurde.
Der Vorsitzende des Haus- und Grundbesitzervereins Stuttgart, Dr. Klaus Lang, kritisiert, dass die Feinstaubalarme die Touristikindustrie, die Immobilienwirtschaft, das Hotel- und Gaststättengewerbe und den Handel weit mehr schaden, als die tatsächliche Lage rechtfertigt. Er fordert von OB Fritz Kuhn, die Diskussion zu versachlichen und bundesweit aufzuklären, den es könne nicht im Sinne des OB sein, dass Stuttgart so als Feinstaubmetropole abgestempelt werde. Niemand wolle die Situation verharmlosen oder beschönigen. Aber da sich das kritische Feinstaubproblem nur auf ganz wenige verkehrsreiche Straßenzüge konzentriere würde dies schon zur Aufklärung und Relativierung beitragen. Ein Fahrverbot von Vaihingen bis Zuffenhausen wäre […] unverhältnismäßig und aus wirtschaftlicher Sicht unverantwortlich. Vorgeschlagen wird die Einhausung oder Untertunnelung des Neckartors, außerdem wird wieder der Nord-Ost-Ring als Entlastung für Stuttgart angeführt.
Diese Meldung wurde, textlich ein wenig verändert, als Pressemitteilung noch einmal veröffentlicht. Hier wird dann auch noch gefordert, dass die Stadt den Anwohnern die Wohnungen, so wie es am oberen Ausgang Rosensteintunnel der Fall ist, abkaufen und zur sogenannten Umnutzung zur Verfügung stellen soll.
Dass der Haus- und Grundbesitzerverein das Jobticket erwähnt und fordert, dass dies auch kleinen Firmen zur Verfügung gestellt wird, ist aus Sicht der BI Neckartor richtig und das unterstützen wir. Zur Zeit können nur Handwerksbetriebe über die Kammern ein Jobticket für ihre Mitarbeiter bekommen. Es ist uns leider nicht bekannt, ob auch ein Betrieb, der nicht den Handwerkskammern angehört, sondern zu einer anderen Kammer (Handelskammer), auch über diesen Umweg ein oder mehrere Jobtickets für die Mitarbeiter bekommen kann. Der Vorschlag ist aber richtig. Nur vor dem derzeitigen Hintergrund des S-Bahn-Chaos und ständig steigender ÖPNV-Preise (trotz dieses Chaoses) ist es Autofahrern eher schwer vermittelbar, in die S-Bahn umzusteigen. Wer außerhalb wohnt und erst mit dem Bus zur S-Bahn fahren muss, dann eventuell noch einmal umsteigen muss, bis er am Arbeitsplatz ist, der wird natürlich das Auto vorziehen, vor allem weil dies ja eh da ist. Außerdem ist es dort warm und trocken, man kann die Lieblingsmusik hören, und – trotz Stau an den Ampeln – bewegt man sich ja immer noch. Das Warten an der zugigen Haltestelle, womöglich noch im Regen, dagegen ist verschwendete Zeit.
Diese zwar nachvollziehbare, aber emotional und nicht rational geprägte Rechnung ist bei vielen DER Grund, dass Auto zu benutzen und die S-Bahn stehen zu lassen. Und solche Auto-Fans wird man auch mit Feinstaubalarm schwer umstimmen können.
Die Forderung vom H&G geht also ins Leere, wenn sie nicht im einem kraftvollen und effektiven Ausbau des ÖPNV verbunden ist. Diesem fehlt aber zur Zeit aufgrund S21 das Geld.
Die Forderung, dass die Stadt, so wie an der Pragstraße, die Wohnungen am Neckartor aufkaufen und umnutzen soll, ist populistisch. Der Grund für den Kauf der Häuser an der Pragstraße ist zwar auch die Feinstaub- und Lärmbelastung, die durch den Rosensteintunnel verstärkt auftreten wird, aber hier handelt es sich nur um wenige Häuser an der Einmündung der Straße „Bei der Meierei“ in einem ansonsten von Industriebetrieben geprägten Stadtviertel.
Am Neckartor dagegen sind mehrheitlich Wohnhäuser vorzufinden. Es ist nicht davon auszugehen, dass nur die sogenannten Gründerzeit-Häuser am Dunantsteg von der Feinstaubbelastung betroffen sind, auch die Wohnhäuser am Neckartor (bei der Stadtbahnhaltestelle), in der unteren Kernerstraße, an der Willy-Brandt-Straße und die ersten Häuser in der Neckarstraße werden ebenso stark betroffen sein von der Belastung am Neckartor. Außerdem hat die Stadt in der nachfolgend dargestellten Tafel veröffentlicht, welche Straßen – neben dem Neckartor – noch von PM10 belastet sind. Das geht weit über das Neckartor hinaus. Und dort sind nicht überall nur Büros. Und wieso kommt man beim H&G überhaupt auf die Idee, dass die Ansiedlung von Büros weniger schlimm ist? Die Menschen, die in den Büros arbeiten sind genauso belastet! Wieso soll also der Anwohner sein Haus verkaufen, der Büroinhaber oder Dienstleistungsanbieter sein Haus an der Pragstraße oder am Neckartor weiter nutzen?
Und wer soll denn die Häuser am Neckartor kaufen und vor allem zu welchem Preis? Die Stadt hat kein Geld für solch eine große Menge (siehe oben) an Immobilien und kann selbst den Marktwert, auch wenn dieser aufgrund der schlechten Lage der Immobilien niedrig ist, vermutlich nicht aufbringen. Wer sollte denn auch diese Immobilien dann von der Stadt kaufen? Ein Bürobetreiber wird die Häuser modernisieren müssen (Aufzug, moderne Elektro- und Wasserinstallationen neu, Garage, Klimaanlage etc.) Das muss alles bei der Wertermittlung berücksichtigt werden. Die derzeitigen Besitzer werden also nur einen Bruchteil des ursprünglichen Wertes der Häuser bekommen.
Aber die Stuttgarter Bildzeitung ist natürlich sofort darauf angesprungen und hat daraus einen äußerst reißerischen Artikel gemacht.
Gut an diesem Artikel ist trotz der Überschrift aber, dass hier auch Anwohner vom Neckartor zu Wort kommen. Denn aufgrund der extrem übertriebenen Bautätigkeit im oberen Preissegment auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt ist es derzeit vor allem für Geringverdiener unmöglich, eine Wohnung zu finden. Schlagzeilen machte vor Kurzem der Fall der Wohnanlage Villengärten im Stuttgarter Norden, in der geförderte und mit bis zu 48.000 Euro bezuschußte Wohnungen für Familien mit geringerem Einkommen zum Preis vom 700.000 Euro angeboten wurden. Da aber aufgrund der Fördergrenzen und weil eine Familie mit geringem Einkommen nicht genug Eigenkapital aufbringen kann, finden sich keine Käufer für diese Wohnungen. Es ist also unmöglich für Anwohner aus solch prekären Vierteln wie am Neckartor eine neue Wohnung zu finden. Der Beitrag des H&G zu versachlichten Diskussion verpufft also wirkungslos und es ist richtig, dass der OB Kuhn nicht darauf eingeht.
Die Grünen haben dann in einem Antrag vom 25.10. gefordert, dass auf Bundesstraßen auf Stuttgarter Gemarkung Tempo 60 km/h und auf Autobahnen auf Stuttgarter Gemarkung Tempo 80 km/h vorgeschrieben wird.
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Die CDU-Fraktion im Gemeinderat hat es sich ebenfalls nicht nehmen lassen und hat den Antrag der Grünen beantwortet und der Forderung der Grünen widersprochen.
Da die CDU gerade erst vor kurzem mehrere „Ideen“ zur Verbesserung der Stuttgarter Verkehrssituation eingebracht hatten, darf diese Pressemitteilung durchaus als Kuriosität betrachtet werden.
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