Stellungnahme des Klima- und Umweltbündnisses Stuttgart und des Verkehrsclub Deutschland, Kreisverband Stuttgart e.V. zum
Luftreinhalteplan für den Regierungsbezirk Stuttgart Teilplan Landeshauptstadt Stuttgart 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans zur Minderung der PM10- und NO 2 – Belastungen, Entwurf August 2018
Vorbemerkung:
Obwohl der erste Luftreinhalteplan schon im Jahr 2005 aufgestellt wurde, werden auch 13 Jahre später die Grenzwerte für die Luftschadstoffe Feinstaub und Stickoxide in Stuttgart regelmäßig überschritten. Diese Beeinträchtigung der Gesundheit vieler Stuttgarter Bürger ist ein eklatanter jahrelanger Rechtsbruch. Es ist beschämend, dass nicht die zuständigen staatlichen Organe von sich aus die Initiative zur Einhaltung der Grenzwerte ergreifen, sondern dass diese einerseits von Seiten der Europäischen Union durch Strafandrohung und
andererseits durch Klage von Bürgern dazu gezwungen werden mussten.
Dennoch geht auch die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans Entwurf August 2018 nur sehr zögerlich Maßnahmen zur Luftreinhaltung an. Weder wird die gerichtlich ausgehandelte Verkehrsminderung um 20 % an Tagen mit Feinstaubalarm am Neckartor umgesetzt noch werden die Grenzwerte bei der Stickoxidbelastung in vielen Straßen von Stuttgart zeitnah eingehalten. Das Land bzw. das Regierungspräsidium Stuttgart widersetzt sich wiederholt
gerichtlichen Vorgaben und zahlt lieber Strafgebühren, als gesetzliche Vorgaben bzw. gerichtlich vereinbarte Maßnahmen einzuhalten. Damit wird das Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren von vornherein erschüttert. Kein Bürger versteht, dass von staatlicher Seite Rechtsübertretungen sogar noch für kommende Jahre angekündigt werden, während diese bei individuellen Verstößen selbstverständlich sofort geahndet werden.
Man hat den Eindruck, dass wirtschaftliche Interessen, insbesondere die der Autoindustrie, wichtiger sind als die Gesundheit der Bürger – vergleichbar der Diskussion um Dieselfahrzeuge, bei denen der Schutz des Motors als Argument für Grenzwertmissachtung angeführt wird. So wird einleitend im Luftreinhalteplan darauf hingewiesen, wie schwierig die Einschränkung des Autoverkehrs ist und dass die in den Luftreinhalteplänen angeordneten
Maßnahmen „unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit“ einer Rechtsgrundlage bedürfen und „verkehrlich zu bewältigen“ sein müssen. Tatsächlich geht es aber darum, Grenzwerte einzuhalten und ein Grundrecht, das Recht auf körperliche Unversehrtheit nach § 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, wieder herzustellen.
Darüber hinaus setzen wir uns für einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Verkehr ein, der nur erreicht werden kann, wenn deutlich weniger motorisierte individuelle Kraftfahrzeugen auf unseren Straßen unterwegs sind. Nicht nur die Schadstoffbelastung in der Luft, auch die klimaschädliche Verbrennung fossiler Rohstoffe, der Reifenabrieb, welcher als Mikroplastik verbleibt, die Lärmbelastung durch den Verkehr, der Flächenverbrauch und die Gefährdung
durch Unfälle zwingen uns dazu, den Kfz-Verkehr zu bändigen, deutlich zu vermindern und verträglicher abzuwickeln.
Von daher muss der Luftreinhalteplan eingebunden sein in eine Strategie der Nachhaltigkeit, welche den Verkehr überwiegend im Umweltverbund – also zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehr – abwickelt und welche in unseren Städten allen Autos weniger Platz einräumt. Nach der Studie „Mobiles Baden.-Württemberg“ der BW-Stiftung wäre Mobilität im Jahre 2050 mit einem Viertel des heutigen Kfz-Verkehrs bewältigbar.
Anmerkungen zu den geplanten Maßnahmen:
Maßnahmen M1: Ab dem 01.01.2019 gilt ein ganzjähriges Verkehrsverbot in der Umweltzone Stuttgart für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Abgasnorm Euro 5 / V.
Dieser Maßnahme wird die höchste Wirkung zur Minderung der Stickoxidbelastung zugesprochen. Sie führt nach den Berechnungen aber nicht dazu, dass die Grenzwerte zeitnah eingehalten werden, da Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Abgasnorm Euro 5 /V und Euro 6 /VI nicht in das Fahrverbot aufgenommen wurden. Das Leipziger Urteil vom Februar 2018 stellt ausdrücklich fest, dass die Maßnahmen im Luftreinhalteplan zur „schnellstmöglichen“ Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid führen müssen und dass ein Verkehrsverbot für Dieselfahrzeuge unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 / VI in Betracht zu ziehen sind.
Durch das geplante Fahrverbot für Diesel unter Euro-5 wird die NO2-Immissionsbelastung an der Messstelle Am Neckartor im Jahr 2019 auf 60,8 μg/m3 und damit eine Reduktion der NO2-Immission um 4,6 μg/m3 erreicht. Die Grenzwerte werden dadurch aber immer noch überschritten. Da die im Luftreinhalteplan August 2018 empfohlenen Maßnahmen nicht aus-
reichen werden, werden spätere Ergänzungen erforderlich.
Da Dieselfahrzeuge Euro 5 / V und 6a – 6c in Bezug auf die Stickoxidbelastung im Realbetrieb nur wenig sauberer sind als die Vorgänger und die Grenzwerte um bis zum 6-fachen überschreiten, ist eine Differenzierung bei Dieselfahrzeugen mit Ausnahme für Euro-6d-Diesel nicht gerechtfertigt. Sinnvoll wäre eine solche Regelung dann, wenn nur Fahrzeuge, die im Realbetrieb die NO 2 -Grenzwerte einhalten, als solche erkennbar sind und dann von einem Fahrverbot ausgenommen werden. Heute sind dies aber nur wenige Dieselfahrzeuge.
In Bezug auf die Feinstaubbelastung kann der spezielle Ausschluss von Dieselfahrzeugen nicht begründet werden. Hier geht es darum, die Verkehrsmengen an den hochbelasteten Straßen insgesamt deutlich und dauerhaft zu senken.
Maßnahme M2: Vergleichserfüllung Am Neckartor
Zur Erfüllung des vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart im April 2016 geschlossenen Vergleichs (VG Stuttgart, Vergleich vom 26.04.2016 – 13 K 875/15) sollte bereits ab 01.01.2018 eine rechtmäßige verkehrsbeschränkende Maßnahme zur Reduktion des Kfz-Verkehrs Am Neckartor um 20% gegenüber vergleichbaren Tagen ergriffen werden, falls im Jahr 2017 die Grenzwerte nicht eingehalten werden. Dieser Vergleich wird rechtswidrig nicht eingehalten; das Land wurde zwischenzeitlich mit einem Bußgeld belegt.
Im Luftreinhalteplan wird die Einführung einer Busspur auf der Cannstatter Straße als Maßnahme zur entsprechenden Reduktion des Kfz-Verkehrs dargestellt, wobei angeführt wird, dass dabei eine komplette Fahrspur für den sonstigen Kfz-Verkehr gesperrt wird. Die Busspur wurde jetzt aber so gestaltet, dass der Kfz-Verkehr tatsächlich nicht wesentlich eingeschränkt wird. Fahrspuren wurden eingeengt, die Aufstellspuren an den signalisierten Knotenpunkten bleiben für den MIV erhalten. Von daher kann von einer Minde-
rung um 20 % nicht die Rede sein.
Die im Luftreinhalteplan genannte emissionsmindernde Wirkung kann also nicht belegt werden. Der Vergleich wird weiterhin nicht eingehalten.
Deshalb fordern wir als zusätzliche Maßnahmen:
Beschränkung der Kfz-Zufahrt in das Stadtgebiet von Stuttgart durch Pförtnerampeln und bestehende Signalanlagen, welche durch die integrierte Verkehrsleitzentrale (IVLZ) gesteuert werden.
Über die IVLZ kann heute schon die Kapazität auf vielen Straßen gesteuert werden. Eine Ergänzung durch Pförtnerampeln würde ermöglichen, alle Zufahrten in das Stadtgebiet zu drosseln. Die Reduzierung des Zuflusses kann schrittweise geschehen und in Verbindung mit der Einrichtung von Busspuren umgesetzt werden. Der Kfz-Zufluss kann so in Abhängigkeit von der Luftqualität geregelt werden. Innerstädtische Signalanlagen werden zugunsten von mehr Grünzeiten für den Bus, die Radfahrer und die Fußgänger umprogrammiert.
Die Ausführungen im Luftreinhalteplan unter Ziffer 5.4.3 zur Zuflussregulierung über Signalanlagen sind nicht nachvollziehbar, wenn gesagt wird, dass hierzu eine gutachterliche Untersuchung erforderlich wäre. Erstens hätte man eine solche Untersuchung dann bei Erfordernis machen müssen und zweitens wird ja die Verkehrssteuerung durch die IVLZ unter Ziffer 5.1.15 als Maßnahme zur Luftreinhaltung aufgeführt, allerdings unter dem Aspekt der Verkehrs- verflüssigung. Sie kann aber ebenso gut für eine Zuflussdosierung eingesetzt werden, welche bei entsprechender Begleitung und Ankündigung zu einer Änderung des Verkehrsverhaltens führen kann.
Zusätzliche Maßnahme M14:
Reduzierung der Kapazitäten in den Hauptverkehrsachsen z.B. durch Fahrbahnrückbau, Umwidmung von Fahrstreifen zu Busspuren oder Radwege. Für den Fahrbahnrückbau und die städtebauliche Integration der B 14-Stadtdurchfahrt gibt es schon Vorschläge von der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL), bei der vor allem auch die Belange der Fußgänger berücksichtigt werden. (Beispiele für Maßnahme M14 in den folgen-
den Abbildungen 1 und 2).
Zusätzliche Maßnahme M15:
Angesichts der hohen Belastungen mit krebserregenden Kohlenwasserstoffen und Feinstaub werden in das Fahrverbot nach Maßnahme M1 im Stadtgebiet Stuttgart auch Krafträder mit Zweitaktmotor einbezogen. Krafträder mit Zweitaktmotoren stoßen 10 bis 124 Mal so viele gesundheitsschädliche Kohlenwasserstoffe und ein Vielfaches von primären und sekundären Aerosolen aus wie andere Fahrzeuge. Laut einer Studie kann bereits kurzes War-
ten hinter einem Zweitakter hochgradig gesundheitsschädlich sein.
Für Zweitakt-Zweiräder stehen inzwischen mindestens gleichwertige und ökologisch verträglichere Elektro-Zweiräder als Alternative zur Verfügung. Deshalb wird ein Fahrverbot im Stadtgebiet Stuttgart gefordert.
Anmerkung zu den Maßnahmen unter Ziffer 5.3.1: Mittel- und langfristig wirkende Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität:
Hier wird aufgeführt, dass in Stuttgart und der Region ein umfangreicher Nachholbedarf beim Erhalt und Ausbau des Straßennetzes erforderlich wäre. Insbesondere sollten die im Bundesverkehrswegeplan dargestellten Straßenbaumaßnahmen umgesetzt werden. Die aufgeführten Maßnahmen beziehen sich auf die Autobahnen A 8 und A 81, die Bundesstraßen B 10, B 27, B 29 B 295/B 464 und die Landesstraße 1115 mit Investitionskosten von
über 1 Mrd. Euro.
Aus unserer Sicht ist völlig unverständlich, wie Maßnahmen zum Straßenausbau, die nachweislich zu mehr Verkehr in Stuttgart führen, als Maßnahmen des Luftreinhalteplans aufgeführt werden. Dies wird im Einzelnen auch nicht weiter begründet, sondern nur aufgeführt, dass „vor allem jene Maßnahmen geplant und ggf. schnellstmöglich realisiert werden, die zu
einer Entlastung des Talkessels vom Durchgangsverkehr führen“.
Für keine der aufgeführten Straßenbaumaßnahmen wird eine Entlastung des Talkessels belegt. Wie sollte auch der Ausbau der B 10 westlich und östlich von Stuttgart und durch Stuttgart hindurch (Rosensteintunnel) zu einer Verkehrsentlastung führen? Wie sollte der Ausbau der A 81 im Zulauf zu Stuttgart ebenso wie der Ausbau der B 27 im Zulauf zu Stuttgart den
Verkehr im Talkessel mindern?
Hier werden haarsträubende, längst widerlegte Argumente aufgeführt ohne nähere Belege für einen Nutzen hinsichtlich der Luftreinhaltung.
Im Gegensatz dazu schlagen wir folgende neue Maßnahme vor:
Zusätzliche Maßnahmen M16: Land, Region und LHS Stuttgart entwickeln den Regionalverkehrsplan Region Stuttgart mit dem Ziel der Verkehrsvermeidung und Reduktion der Wegelängen fort. Insbesondere sollen Wege gefunden werden, wie motorisierter Individualverkehr auf den Umweltverbund verlagert werden kann, die Klimaziele umgesetzt werden und Straßenbau vermieden wird.