Das ist unsere Antwort auf den Brief von Verkehrsminister Hermann, der seinerseits unsere Forderungen von November 2015 beantwortete.
Sehr geehrter Herr Minister Hermann,
vielen Dank für Ihre Antwort vom 18. Januar 2016.
Ihr unermüdlicher Einsatz für die Verbesserung der Luftqualität in Baden-Württemberg, besonders im Großraum Stuttgart, verdient Respekt. Die verkehrspolitischen Fehlleistungen zahlreicher Vorgängerregierungen sind eine schwere Bürde für das erklärte Ziel einer umweltverträglichen Mobilität. Wir begrüßen die von Ihnen in diesem Zusammenhang beschriebenen und zum Teil schon umgesetzten Maßnahmen.
Beim Thema „Fahrverbote“ aber scheinen wir aneinander vorbeizureden. Bei der Abwehr von Grenzwertüberschreitungen bei den Luftschadstoffen haben Sie keinen zeitlichen Spielraum mehr. Die betroffenen Menschen müssen durch sofort wirksame Maßnahmen geschützt werden. Da ein geregeltes Fahrverbot die einzige, wirksame Maßnahme im Falle drohender Grenzwertüberschreitungen ist, sind Fahrverbote in so einer Situation ein Muss.
Sie wirken schnell. Sie stehen kurzfristig zur Verfügung. Sie retten Leben.
Als Instrument steht der §45 der Straßenverkehrsordnung zur Verfügung. Wir schlagen vor: Straßenzug für Straßenzug entlasten. Begleitet von Textbändern auf den neuen Anzeigetafeln an den großen Einfallstraßen. Darauf könnte dann stehen: „Alle zur Verfügung stehenden Straßen in der Innenstadt belegt! Sie dürfen gerne unsere kostenfreien P+R Parkplätze nutzen.“ Im Übrigen sorgt die Polizei für den reibungslosen Umstieg vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Umsetzung der Maßnahme „Fahrverbote“ mag komplex sein, trotzdem ist sie unverzichtbar.
Denn es ist ja nicht so, dass die Zivilgesellschaft der Region Stuttgart erst seit wenigen Wochen mit dem Phänomen der tödlichen Luftverschmutzung aus Auspuffrohren konfrontiert ist. Hier wird seit über 10 Jahren europäisches Recht, das dem Schutz der Bevölkerung dient, nicht umgesetzt. Es sind nationale Ministerien und Behörden, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Das Thema wird seit Jahren in den lokalen und bundesweiten Medien öffentlich beackert. Große Teile der Bevölkerung sind sensibilisiert. Diejenigen, die es bis heute nicht sind, sind appellresistent.
Die Europäische Kommission erteilt – in einem Brief vom 26.11.2014 an die Bundesrepublik Deutschland – Maßnahmen auf Appellebene eine klare Absage. Wir brauchen heute keine Appelle. Wir brauchen Menschen in Regierungsverantwortung, die geltendes Recht umsetzen. Maßnahmen wie ein Feinstaubalarm, der wie Sie sagen, lediglich den Zweck hat zu sensibilisieren, sind dafür völlig ungeeignet.
Ein erfolgreicher Vollzug der von Ihnen beschriebenen Verkehrswende wird noch einige Jahre dauern. Dass eine Vielzahl der dafür notwendigen Maßnahmen nicht sofort umsetzbar ist, versteht sich von selbst.
Aber: Erlauben Sie mir die Frage, wer Sie und Ihre MitarbeiterInnen im Verkehrsministerium daran gehindert hat, schon vor 5 Jahren mit dem Sensibilisieren anzufangen? Wer hat verhindert dass die vom Tübinger Oberbürgermeister Palmer erbetenen landesrechtlichen Grundlagen einer Nahverkehrsabgabe geschaffen werden? Welche Rolle spielt hierbei der
Stuttgarter Gemeinderat?
Am 18. Januar wurde der erste „Feinstaub Alarm“ ausgerufen. Am vierten Tag dieses Feinstaubalarms (21.01.16) wurde im SWR ein Interview Beitrag mit
Ihnen ausgestrahlt. Dort sagten Sie wörtlich: „…Appell geht an die Bürger und Bürgerinnen. Es ist Ihre Gesundheit. Sie müssen dazu beitragen dass die Luft besser wird. Nicht die Politik oder die Bürokratie soll es richten. Nein, jeder ist selber das Verkehrsproblem und der Feinstaub…“. Haben wir das richtig verstanden? Jeder? Was ist mit den Bürgerinnen und Bürgern, die seit Jahren, manche seit Jahrzehnten die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, zu Fuß gehen, Fahrrad fahren? Was mit Tausenden von Kindern, Schülerinnen und
Schülern, Studierenden, die längst wie selbstverständlich nachhaltige Mobilität vorleben?
Wir finden, Ihr Appell war wenig differenziert. Natürlich war die Sendezeit kurz. Aber wir würden uns sehr über öffentliche Beiträge freuen, in denen Sie Ihren dringenden Appell eindeutig an die Nutzer des motorisierten Individualverkehrs richten. Eine weitere Zielgruppe mit unterentwickeltem Problembewusstsein ist aus unserer Sicht die IHK. Deren Funktionsträger sind bekanntermaßen die Verkehrswende-Verhinderer Nummer 1 im Land. Aber auch die lokalen Automobilhersteller zeigen wenig Interesse an einem Strukturwandel.
Und bitte nicht vergessen: Stuttgart 21 ist schon während der Bauzeit ein wesentlicher Belastungsfaktor in Sachen Luftschadstoffe.